I: Anja, du hast dich nach dem Abitur für ein duales Studium entschieden. Welche Gründe sprachen dafür?
Anja: Naturwissenschaften haben mich schon in der Schule interessiert, vor allem Chemie und Bio. In Mathe war ich auch nicht schlecht. Mir war also schon ziemlich früh klar, dass ich beruflich was mit Natur-wissenschaften machen wollte. Ich wollte möglichst was Praktisches machen und mich nicht nur mit Theorien beschäftigen. Deshalb kam für mich ein Studium mit wenig Praxis nicht in Frage. Das duale Studium bietet da eine echte Alternative. Ich mache eine Ausbildung zur Chemie-Laborantin und bekomme eine Ausbildungsvergütung, ich verdiene also schon Geld. Nach acht Semestern habe ich einen Studienabschluss, einen Berufsabschluss und erste berufliche Erfahrungen. Theorie und Praxis sind so wirklich sehr eng miteinander verbunden und ich habe beruflich viele Chancen.
I: Wie hast du dich über die Studienmöglichkeiten informiert?
Anja: Vieles steht im Internet und die Berufsberatung der Arbeitsagentur und die Studienberatung an der Hochschule können helfen. Aber wichtig ist, dass man sich frühzeitig um alles kümmert. Ich habe noch während der Schule ein Praktikum in einem Chemie-Labor gemacht und durfte Laboranten über die Schulter schauen. Das hat mir sehr gefallen und ich habe mich sofort um einen Ausbildungsplatz beworben. Den brauchte ich, um mich dann für das Studium der technischen Chemie zu bewerben.
I: Eine Ausbildung und ein Studium parallel zu machen, das klingt sehr anstrengend. Wie müssen wir uns deinen Alltag vorstellen?
Anja: Die Ausbildung dauert insgesamt acht Semester, also vier Jahre. Nach einem Jahr lege ich den ersten Teil der Abschlussprüfung zur Chemie-Laborantin ab, ein Jahr später folgt dann der zweite und letzte Teil. Das dritte und vierte Jahr wird vollzeit studiert. Momentan bin ich zwei Tage in der Woche an der Fachhochschule, einen Tag in der Berufsschule und zwei Tage im Labor oder in der Werkstatt bei Bayer. An der Fachhochschule stehen morgens Vorlesungen und nachmittags Übungen auf dem Programm, außerdem mache ich einen Englischkurs. Meine Arbeitstage im Werk beginnen um 7 Uhr und enden um 15:30 Uhr. Hier lerne ich z. B. verschiedene Messgeräte in den Produktionsanlagen kennen oder erfahre, wie ich die Dichte von Lösungen bestimmen kann.
I: Aha, deshalb also technische Chemie?
Anja: Ja genau. Die Aufgabe der Technischen Chemie ist es, die in der Forschung entwickelten Reaktionen in einen technischen Maßstab zu übertragen, also z. B. die Serienproduktion von neuen Waschmitteln oder Medikamenten zu ermöglichen. Wir lernen, Produktionsabläufe zu steuern und zu verbessern, entwickeln Produkte für den Markt und müssen später auch Kunden beraten. Technische Chemikerinnen arbeiten dabei nicht nur in Laboren, sondern auch in der Produktion oder im Büro.
I: Frauen sind ja zur Zeit in den MINT-Berufen nicht so stark vertreten…
Anja: Ja, das merkt man vor allem im Studium, da sitzen erheblich weniger Frauen in den Vorlesungen als Männer. In den Laboren ist das Verhältnis etwas ausgeglichener.
I: Was kann man deiner Meinung nach tun, um mehr Frauen für die MINT-Berufe zu begeistern?
Anja: MINT-Fächer halten viele Frauen für zu schwer und uninteressant. Das ist ein Vorurteil. Es gibt eine Vielzahl möglicher Berufe und wirklich interessante Arbeitsfelder. Darüber sollte man die Schülerinnen und Schüler schon in der Schule informieren, damit sie sich eine Vorstellung machen können. Denn insgesamt ist der MINT-Bereich für Frauen nicht schwerer als für Männer.
I: Was fasziniert dich an deiner Tätigkeit am meisten?
Anja: Am meisten die Vielfalt des Berufs. Und natürlich wie eine Reaktion im Reagenzglas mithilfe der chemischen Verfahrenstechnik zu einer großen Serienproduktion werden kann, also aus etwas ganz Kleinem wird etwas ganz Großes — das ist faszinierend.
I: Wie geht es nach dem Bachelor bei dir weiter?
Anja: Erstmal arbeiten und dann den Master machen. Ich möchte mich in Richtung Green Chemistry oder auch Grüne Chemie spezialisieren. Das ist die Art von Chemie, die versucht, Umweltverschmutzung einzudämmen, Energie zu sparen und so möglichst umwelt- verträglich zu produzieren.
I: Wenn du dir ein Produkt aussuchen könntest, das du entwickeln möchtest — welches wäre das dann?
Anja: Oh, da ich in meiner Freizeit gerne Laufe, ganz sicher die Serienproduktion von schmutzabweisenden Turn- oder Laufschuhen, die man nie wieder waschen muss. Der Lotuseffekt hilft da vielleicht.